Der Lautsprecher brüllt irgendwas von "together" und "tonight" und "allways me and you" und ich sitze, hänge allein in meinem Stuhl und weiß, dass ich heute nacht und auch morgen nacht und die Nächte darauf allein sein werde.
Und ich werde die nächsten Wochen, Monate und Jahre allein sein. Egal wo ich bin und was ich tue, ich bin und tue es allein.
Meine Welt besteht aus zwei Personen: Das sind ich und "die anderen". Mehr gibt es nicht.
Diese zwei Personen werden nie ein Paar. "Die anderen" kann prima für sich sein, weil er nicht alleine ist mit sich, weil er sich mag und sich schätzt, weil er lieben kann. Er kann sich lieben.
Ich aber kann nur alleine sein und das nicht gut, weil ich mit mir alleine bin.Ich hasse mich abgrundtief und das Schlimmste ist, dass ich nicht lieben kann.Weil ich nicht lieben darf. Ich verbiete es mir! Ich will den anderen nicht weh tun oder sie enttäuschen, darum liebe ich nicht. - Und liebe doch. Geheim und verboten. Falsch. Und ich hasse mich dafür um so mehr.
Immer wieder hasse ich mich so sehr, dass ich mir nur noch eines gönne: den Tod. Er ist das Einzige, was mir noch zusteht. Aber ich bin zu feige.
Dann fange ich wieder an mich zu schneiden. Ich nehme die aus einem Rasierer feinsäuberlich ausgebaute kleine Klinge aus dem schmalen Karton mit den Pflastern drin und lege sie vor mir auf den Schreibtisch, der vorher schön aufgeräumt wurde. Dann lege ich ein Pflaster daneben und einen Verband.Ich kremple meinen Ärmel hoch und wische die Stelle am Oberarm, an der noch keine Narben sind mit einem feuchten Reinigungstuch ab.Dann nehme ich die kleine Klinge in die Hand und sehe sie mir genau an, danach setze ich sie an, übe einen leichten Druck aus und mache den ersten Schnitt.
Es blutet nicht genug, also folgen ein zweiter und ein dritter Schnitt, bis mir kleine rote Bächlein den Arm herunterfließen.
Ich sehe dem ganzen ruhig zu und werde innerlich leichter. Als es genug geblutet hat, wird das vorbereitete Pflaster genommen und drauf geklebt. Der Ärmel wird wieder herunter gekrempelt. Die Klinge wird abgewischt, in die Schachtel gelegt und diese kommt an ihren Platz im Schrank unter dem Bücherregal.
Dann sitze ich wieder am Schreibttisch.
Ich weiß, dass es falsch war, was ich getan habe.
Ich hätte das tun sollen, was mir in der Therapie gezeigt wurde. Eine der vielen Möglichkeiten, die innere Spannung abzubauen.
Aber ich habe mich wieder geschnitten. Neue Narben werden bleiben.
In den nächsten Stunden wird das schlechte Gewissen in mir brodeln.
Du hast versagt! Du hast dich wieder geschnitten! Versager!
Am nächsten Morgen wird es mich wecken. Subtil und hinterhältig wird es mir aus dem Spiegel entgegenstarren.
Erst wenn ich die Narben nicht mehr spüre, wird es weg sein.
Bis zum nächsten Mal.
Aber habe ich dann vielleicht den Mut, den endgültigen Schnitt zu machen?
Ich weiß es nicht.
Ich weiß nicht, wie lange ich mir noch gebe.
Wie lange lass ich mich noch am Leben?
Nicht einmal ich kann mir die Antwort geben.
Und die anderen wissen nichts davon.
Sie haben keine Ahnung, dass ich mir vorstelle, wie es wohl auf meiner Beerdigung sein wird, während sie mir bei einem Kaffee von ihren schrägen Dozenten oder ihrem Praktikum erzählen. Sie ahnen nicht, dass ich mich schlecht fühle, nur weil sie mit mir hier sitzen und ihre Zeit verbringen. Kein Schimmer von den Vorwürfen, die ich mir mache, weil ich ihnen ihre kostbare Zeit raube. Dabei haben sie mich doch eingeladen. Warum wohl?
Die Selbstzweifel kommen wieder hoch und als sie mich anlachen und freudestrahlend von ihren Mitbewohnern erzählen, frage ich mich wieder mal, warum sie sich eigentlich mit mir abgeben, bin ich mir erneut sicher, dass ich es nicht verdient habe, mit ihnen befreundet zu sein.
Sie haben keine Ahnung, dass ich Angst vor dem Alleinsein habe, dass ich mich davor fürchte, in meinem Zimmer zu hocken und irgendwann doch die ganze Schachtel Tabletten zu nehmen, statt der verordneten Dosis.
Sie wissen nicht wie es ist, wenn man sich zwingen muss, nur eine bestimmte Anzahl von jeder Tablette in das kleine Döschen zu geben, das einen über den Tag hin bis zur Nacht begleiten wird.
Ich habe Angst vor mir selbst.
Angst davor, irgendwann keine Angst mehr vor dem Tod zu haben.
Ich fürchte meinen Mut.
Und das macht es so schlimm, mit mir allein zu sein.
Einmal hab ich Büchner gelesen, die Hundeblume. Darin beschreibt er genau das, was ich fühle.
"Und nun hat man mich mit dem Wesen allein gelassen, nein, nicht nur allein gelassen, zusammen eingesperrt hat man mich mit diesem Wesen, vor dem ich am meisten Angst habe: Mit mir selbst."
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