Freitag, 10. Juli 2009

Und auf einmal ist alles schwarz.

Es läuft Wochen und Monate gut.
Die Prüfungen bestehe ich alle mit guten Ergebnissen. Ich gebe plötzlich Nachhilfe und habe dabei nicht den Eindruck, dass es meinen zwei Schülerinnen damit schlecht geht.
Die Beziehung läuft prima und das Wetter sieht immer mehr nach Sommer aus.
Aber irgendwann ist es wieder da. Das Gefühl, das alles nicht verdient zu haben, nicht gut genug dafür zu sein.
Immer tiefer verstricke ich mich in den Gedanken, dass ich nicht mehr leben sollte. Es bringt alles nichts. Ich weiß mit mir nichts anzufangen.
War das Studium die richtige Wahl? - Nein.
Aber was sonst? - Keine Ahnung, ich kann ja nichts.
Ich habe vor allem Angst.
Vor dem nächsten Tag.
Vor der Nacht.
Vor dem Alleinesein.
Vor dem Nicht-Alleinesein.
Aber am meisten vor mir selbst. Ich bin vor mir nicht mehr sicher.
Lange Zeit habe ich mal mit dem Gedanken gespielt, mich als Babysitterin zu melden.
Das kann ich erst mal knicken.
Denn im Moment muss ich 24 Stunden lang auf mich selbst aufpassen. Darauf achten, keinen Blödsinn zu machen.
Und ganz besonders: Keinen Blödsinn zu denken.
Denn allein die Gedanken sind schon heftig.
Sie führen zu Schweißausbrüchen, ständigem Zittern und endloser Verzweiflung.
Die Sehnsucht nach einer längst vergangenen Zeit kommt wieder hoch, von der ich mir immer gewünscht habe, dass sie nie enden würde. Aber im Sommer 2006 war meine Schulzeit beendet. Das Abi war geschafft und die Abschiedsfeier vorbei.
Was jetzt?
Jetzt habe ich kein Ziel mehr, keine Aufgabe. Ich gehöre nirgendwo mehr hin. Bin heimatlos. Verloren.
Ich falle nur noch.
Es folgten fast sechs Monate Klapse, dann ein knappes Jahr Therapie und viele Pillen.
Langsam keimte das Gefühl, dass ich es vielleicht tatsächlich wieder ohne Chemie schaffen könnte.
Am Montag dieser Woche war es soweit.
Der erste Tag ohne Pillen. Keine einzige mehr. Natürlich alles abgesprochen.
Ich erlebte sechs Stunden lang, wie es ist, ein chemiefreies Leben zu führen.
Dann kamen die Entzugserscheinungen.
Übelkeit. Schwindel. Kopfschmerzen. Orientierungslosigkeit. Konzentrationsstörungen.
Und das Schlimmste: Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.
Sie waren wieder da, die für mich einst so felsenfest stehenden Fakten, dass ich es nicht wert bin, zu leben. Dass ich nur eine Last bin. Dass ich nur einen Platz blockiere, der eigentlich für einen besseren Menschen gedacht war.
Bis Dienstag konnte ich mich noch zusammenreißen. Abends ging gar nichts mehr.
Ich fuhr in die Notaufnahme. Hätte ich das nicht getan, könnte man diesen Text hier nicht lesen.

Jetzt nehm ich wieder Pillen.
Langsam verschwindet die Übelkeit, der Schwindel ist weg und der Schmerz im Schädel wird blasser.
Aber die Gedanken sitzen hinter der Mauer aus Chemie und warten grinsend darauf, dass sie wieder abgebaut wird.
Sie sitzen da. Und ich weiß es.
Ich weiß es, weil ich sie hören kann.
Die Angst haben sie mir gelassen, die lehnt sich locker an die Mauer und scheißt auf die Chemie.
Es ist die Angst vor dem Leben.
Nicht vor meinem Leben.
Vor dem Leben überhaupt.

Was jetzt...
War alles umsonst?
Im Moment sieht es so aus.
Für andere Meinungen sind meine Ohren zumindest offen. Ob mein Herz (wie melodramatisch) das versteht, weiß ich nicht.
Und ob es einen Versuch wert ist...wer weiß...