In südlichen Gefilden eher selten zu finden, in Nordrhein-Westfalen ein Muss für jeden, der nicht auf ewig von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen sein möchte: das Schützenfest.
Fünf Tage, an denen mehr oder weniger gestandene Männer beweisen, dass man selbst beim Übergeben um Viertel nach zwölf Dank der Uniform noch gut aussehen kann; fünf Tage, an denen der Rheinländer von null auf hundert in karneval-verdächtige Stimmung verfällt und an denen Frauen wie Männer ihre Trinkfestigkeit eindeutig zur Schau stellen.
Mir wurde beim diesjährigen Schützenfest in Nettesheim-Butzheim (Rommerskirchen), Kreis Neuss, die Ehre zu Teil, den Höhepunkt der Partystimmung live, in Farbe, Bild und Ton mitzuerleben.
Nach einer fünfstündigen Fahrt am Ort des Geschehens angekommen folgte eine kurze Einweisung in die örtliche Etikette: Wundere dich über nichts, freue dich über alles und kuck dir erst mal was an, bevor du dabei mitmachst! - Wenn man so will, war das das Motto für den gesamten Abend und die darauf folgende Nacht.
Der nicht vollendete Nebensatz "es is ganz gut, dass du ne Hose und keinen Rock an hast, denn die Männer sind ja alle recht gut dabei und da...." versetzte mich nur geringfügig in Panik.
Wir standen vor dem Festzelt, dem Heiligtum, dem Sesam, gefüllt mit Schätzen von unaussprechlichem Wert: vollen Kölsch-Stangen.
Im Zelt selbst war die Stimmung schon kurz vor dem Anschlag und die übrigen Schützenkollegen meines Schützen freuten sich, dass wir - vor allem er - endlich da waren.
Die Musik war...laut, doch, ich denke so könnte man es nennen, wenn man nach fünf Minuten den Eindruck hat, dass die eigenen Trommelfelle im inneren des Kopfes auf halbem Weg zusammenditschen.
Das Motto des Zuges meines Schützen war, passend zum Wahljahr, die JBP. Für nicht Eingeweihte: Jecke Boschte - Partei.
Jecke Boschte nennen sie sich offiziell sowieso. Für das Schützenfest wurde daraus kurzerhand eine Partei gemacht, stilecht mit Wahlplakaten, die im Zelt (und im Klowagen, Abteilung Herren) aushingen, Kugelschreibern, Feuerzeugen und runden Ansteckern mit dem Parteikürzel darauf.
Zur Feier des Tages hatte einer der Jungs Lebensmittelfarbe mitgebracht, die man fröhlich ins Kölsch mischte. Lecker.
Der Höhepunkt des Abends war das Rudern.
Das Vorprogramm bestand daraus, dass die Band schon eine Stunde vor dem eigentlichen Ereignis darauf hinwies.
Als es endlich so weit war, rief das ganze Zelt samt Band rhythmisch und einer drogentrunkenen Sekte gleich "Hin-set-zen! Hin-set-zen!".
Und tatsächlich, wie Jünger eines noch unbekannten Gurus fanden sich etwa dreihundert Frauen und Männer, die sich, auf mehrere 'Boote' verteilt, auf den Zeltboden setzten. Hintereinander, wie in einem Bob.
Ein Piratenlied wurde angestimmt und das nächste Kommando führte zu extase-ähnlichen Zuständen bei den Teilnehmenden und verzückten Gesichtern bei den Zuschauern. Es hieß "Vor! - Zurück!".
Und jetzt wusste ich, warum ich mir eine Sache erst ansehen sollte, bevor ich mitmachte:
Die Matrosen griffen nach links und rechts und zogen bzw. drückten die imaginären Ruder nach hinten und wieder nach vorne.
Diese Nummer dauerte gefühlte zehn Minuten.
Der restliche Abend bestand aus getrunkenem Kölsch (nicht von mir), verschüttetem Kölsch, hochgehaltenem Kölsch, herunter fallendem Kölsch und dem Kölsch, dass sich auf den Weg in die Butzheimer Unterwelt machte.
Natürlich gab es noch andere, phantasievollere Getränke: Limo-lustig, Schwatte, Brunge, Rote-Kiste. (Den jeweiligen Inhalt lasse man sich bitte von einem Kenner erklären.)
Ich blieb bei Cola und Wasser.
Um mich herum befanden sich geschätzte 500 Menschen lachten, sangen, kreischten, brüllten und tanzten. Oder versuchten es wenigstens.
Dabei gab es keine Altersbegrenzung.
Ein besonders schrilles Kreischen lenkte meinen Blick hinter mich zur gegenüber liegenden Seite des Zeltes.
Dort stand auf einer Bank ein etwa sechzigjähriger Mann, dessen gesamtes Körperfett sich in der Mitte seines Rumpfes, vorne, angesammelt zu haben schien. Der Kopf leuchtete vor dem weißen Hintergrund (Zeltplane) und wurde von einem weißen Ring bekränzt, seine Arme reckte er von sich und wippte um möglichst erotisches Aussehen bemüht in den Knien.
Manchmal frage ich mich, ob die Natur aus reinem Sadismus den Sehsinn erschaffen hat...
Dass auch ich irgendwann auf dem Tisch einer Biergartengarnitur stand, war unvermeidbar gewesen. Aber zu meiner großen Überraschung hatte es Spaß gemacht und mir wurde wiedereinmal bewusst, dass es eben nicht so ist, dass mich alle anstarren und sich denken:
Was auch immer sie da tut, stoppt sie, bevor ich mich übergebe.
Als wir gingen, war es ungefähr drei Uhr.
Der nächste Morgen stand nach dem von mir ausgelassenen Gottesdienst die Parade mit Regimentsabnahme.
Zum ersten Mal sah ich meinen Schützen in Uniform an mir vorbei marschieren. Mit ihm die Jecke Boschte samt obligatorischem Blumenhorn.
Ein wenig stolz und gleichzeitig gerührt war ich da schon. Die ganze Zeremonie hatte etwas würdevolles.
Dass wir nach dem Frühschoppen und dem Mittagessen wieder fahren mussten, fand ich dann sogar sehr sehr schade.
Nie hätte ich, die ich große Menschenmengen auf Volksfesten, in Diskotheken, Clubs oder sonstigen Veranstaltungen eher meide, gedacht, dass mir das Schützenfest so gefällt.
Das nächste Fest kann kommen,
ich werde da sein!
Mittwoch, 23. September 2009
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