An meinem Geburtstag im Herbst antwortete ich auf diese Frage „Wie mit 21.“.
In letzter Zeit beschäftigte mich diese Frage wieder und mir wurde klar, dass ich jetzt anders antwortete.
Man fühlt sich eben nicht wie mit 21, sondern man hat den Eindruck, dass nun der körperliche Verfall vollends begonnen hat. Ein Biologielehrer sagte mal, dass ab 20 der Körper langsam verfällt. Damals dachte ich – und das war auch seine Aussage – dass man davon noch nicht so viel mitbekommt. Heute muss ich diese Ansicht revidieren. Denn die Zeichen, die ein 22-jähriger Körper seinem Insassen senden kann, deuten auf einen beschleunigten Verfallsprozess hin.
Kopfschmerzen sind da noch das geringste Übel, wenn sie auch dazu führen, dass man – wäre man ein Hund – den Wesenstest sicher nicht bestünde, weil der ständige Druck im Kopf soviel Aggression erzeugt, dass man sich schon sehr zusammennehmen muss, um andere nicht wegen noch so kleiner Dinge anzufahren.
Nein, es gibt noch andere Leiden, die so gar nicht zu einem „twen“ passen.
Beispielsweise das Gefühl, dass sich in jeder Nacht ein Elefant seinen Schlafplatz auf dem eigenen Brustkorb sucht. Atmen geht gerade noch, Lachen ist unmöglich und nicht daran zu denken, dass diese eventuell ein Hinweis auf einen Infarkt sein könnte, ausgeschlossen.
Eben diese Probleme in Kombination mit Nacken- und Rückenschmerzen führten dazu, dass ich mich dazu durchrang, zum Arzt zu gehen.
Dort stand natürlich eine Blutentnahme an, was bei mir nicht in zehn Minuten erledigt ist, sondern zu einer Prozedur von gefühlten zwei Stunden, realen fünfzig Minuten ausartet. Grund dafür ist die unvorstellbare Angst, die ich dabei jedes Mal durchlebe und die Tatsache, dass ich mit ziemlich versteckten Adern ausgestattet bin. Es wäre also an sich schon nicht einfach, eine Ader zu treffen. Sollte es dann doch gelingen, sorgt meine Angst dafür, dass nicht ein Tropfen fließt. Man könnte glauben, ich sei ein blutleeres Wesen.
Dass dem nicht so ist, zeigt sich, wenn dann enttäuscht die Nadel entfernt und ein kleines Pflaster aufgeklebt wird, auf dem sich nach wenigen Sekunden ein kleiner roter Punkt zeigt.
Um es kurz zu machen: Ich wurde drei Mal gestochen, bis etwas kam und bin dabei zwei Mal komplett zusammen geklappt, einer Ohnmacht mehr als nahe.
Das anschließende EKG hatte das Ergebnis, dass mein Herz – im Gegensatz zu mir – zu viel tut. Es schlägt ein paar Mal zu oft. Extrasystolen nennt man diese Schläge. Eine Woche später wurde mir deshalb ein Langzeit-EKG umgeschnallt bzw. angeklebt und am nächsten Tag sollte ich das Ergebnis dazu erfahren.
Ich saß im Wartezimmer. Alleine. Die Schwester führte draußen ein Telefonat: „Ich bräuchte einen Herzkatheter für Januar.“
Moment. Ich kombinierte so:
Beim Hereinkommen war mir kein weiterer Patient aufgefallen, es war sehr früh am Tag, im Wartezimmer hing keine Jacke, stand kein Schirm, ich saß da völlig allein. Ergo: Der Herzkatheter war nicht nur für Januar, sondern auch für mich!
Da mein Vater in den letzten Monaten sowohl einen Katheter, als auch eine Bypass-OP hinter sich gebracht hatte, wusste ich, was auf mich zu kam. Lebensgefährliche Eingriffe, die man nicht einfach so aus Spaß an einem Menschen vornahm. – Ich war in Gefahr! Eine tickende Zeitbombe. Jede Sekunde konnte meine Letze sein. Wem musste ich unbedingt noch danken, von wem musste ich mich persönlich verabschieden? Wie brachte ich meinem Freund bei, dass er wohl bald wieder Single sein würde? – Ich wurde aufgerufen.
Die Ärztin – klein, zierlich, verdächtig freundlich – begrüßte mich und nah mich mit in ihr Sprechzimmer. Dort bat sie mich ruhig und wieder sehr freundlich, Platz zu nehmen.
Selbstverständlich machte mich diese ganze Ruhe und Freundlichkeit noch skeptischer und keineswegs gelassener.
Gleich würde sie mir sagen, dass ich mich auf einen baldigen Tod einstellen sollte. Gleich wäre der Moment gekommen, in dem sie mir vertrauensvoll und tröstend in die Augen schaut und mir mitteilt, dass es wohl noch zwei oder drei Wochen sein könnten. Vielleicht auch länger. Wer weiß.
Dann kam die Diagnose endlich: Sie haben leichte Herzrhythmusstörungen. Es sind nicht gerade wenige, aber es ist nicht so schlimm, dass man Medikamente geben müsste.
Sofort wollte ich all meine Fragen geklärt wissen: Ist das lebensgefährlich? Was kann ich dagegen tun? Kann ich noch Sport treiben? Gibt es einen Zusammenhang mit Herzinfarkt? – Die Frage, wie lange ich noch zu leben hätte, verkniff ich mir, wenn es mir auch schwerfiel. –
Die Ärztin antwortete ziemlich eindeutig:
Es ist nicht lebensgefährlich, das ist wahrscheinlich angeboren, da kann man nichts dagegen tun, Sport ist kein Problem und es gibt keine Verbindung zu Herzinfarkt. Hormone oder Stress könnten die Auslöser dafür sein, dass ich das Stolpern verstärkt wahrnehme.
Als ich die Praxis verließ, machte sich überraschenderweise weder Erleichterung noch Besorgnis breit. Ich fühlte mich neutral.
Schließlich war das Stolpern nicht weg. – Ist es übrigens immer noch nicht ganz. – Mein Rücken fühlt sich an, als wäre meine Wirbelsäule aus Stacheldraht, mein Nacken ist versteinert, die Kopfschmerzen – mittlerweile migränewürdig – sind zu meinen ständigen Begleitern geworden und was den Elefanten auf meiner Brust angeht, überlege ich im Moment, ihm einen Namen zu geben, denn er hat sich schon häuslich eingerichtet.
Geändert hat sich also nicht wirklich etwas.
So fühlt man sich mit 22. Ziemlich kaputt.
Vielleicht baut das all diejenigen ein wenig auf, die älter sind als ich und die sich Gedanken machen, weil es hier und da mal zwickt, sticht oder drückt.
Keine Panik: Sie sind nicht alleine!
Mittwoch, 17. Dezember 2008
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