Dienstag, 22. April 2008

Ich geh nur kurz mal zur Toilette

Letztes Semster habe ich ja eine Hausarbeit zum Thema "Nero als Künstler" im Fach Alte Geschichte geschrieben.
Heute habe ich sie mir korregiert und benotet abgeholt. Das war allerdings gar nicht so einfach, da ich mich erst mal auf die Suche nach dem zugehörigen Dozenten machen musste. In seinem Zimmer war er nicht. Der Hiwi im Sekretariat schickte mich in die Präsens-Bibliothek und dort sagte man mir, dass der Dozent eben in die Richtung gegangen sei, aus der ich gerade gekommen war. Hm.
Ich ging nochmal zu seinem Zimmer, klopfte, erhielt wieder keine Antwort und entschloss mich darauf hin, einfach mal zu warten. Inzwischen kam der Hiwi kurz auf den Gang, fragte mich, ob ich ihn immer noch nicht gefunden hätte und konnte nach meinem Nein auch keine ergiebige Lösung finden. Ich wartete weiter.
Nach ungefähr zehn Minuten, in denen ich mehr oder weniger interessiert die Karte des antiken Griechenlands nach kuriosen Städtenamen durchsucht hatte, öffnete sich am Anfang des Ganges eine Tür und der gesuchte Dozent kam mit weit gespreitzten Fingern in meine Richtung.
Ich grüßte ihn und erklärte, dass ich lediglich meine Hausarbeit abholen wolle. Er sah mich kurz an - ich bemerkte den Krümel in seinem linken Mundwinkel und musste mich beherrschen, ihn nicht wegzuwischen; gleichzeitig fühlte ich mich an einen ehemaligen Lehrer erinnert, bei dem das durchaus auch schon mal vorkam - dann sagte er "Nero der Brand Roms und die Christen". Ich sagte ihm den Titel meiner Arbeit, er ärgerte sich auf eine sympathische Weise, dass er das vergessen hatte und vertröstete mich für den Augenblick mit der Erläuterung, dass er nur mal kurz zur Toilette gehe, denn er habe gerade Pizza gegessen. - Dass er vom Essen kam, hatte ich ja bereits gemerkt.
Nachdem er sich kurz entfernt und seine Hände gewaschen hatte (auch der Krümel war weg), schloss er sein Büro auf, nahm einen Stapel Schnellhefter aus dem untersten Fach eines Regales und begann zu suchen.
Zuerst gab er mir nach einem kurzen Kontrollblick auf den beiliegenden Schein den kurzen Text zur Kelten-Übung zurück. 2,0 - nicht schlecht.
Er kramte weiter und fand schließlich den Klemmordner mit meiner Arbeit. Auch hier las er sich den Schein noch mal in aller Ruhe durch und sagte dann etwas, was mich innerlich spontan einen Handstand machen ließ (was mir im Gymnasium nie gelungen war, selbst nach verordnetem Einzeltraining auf einer Matte in einer Ecke der Turnhalle...aber das ist eine andere Geschichte).
"Oh, 1,3! Schön."
Moment, Moment, Moment!
Eins-komma-drei?
Das war meine erste Hausarbeit an der Uni, meine allererste, und ich habe eine Eins-komma-drei!
"Wahnsinn..." war das einzige Wort, das mir dazu einfiel. Ich bedankte mich und er meinte auch noch, dass ich mir das ja verdient habe.
Ich verabschiedete mich, er wünschte mir weiterhin alles Gute und ich verließ das Büro.
Auf dem Weg zu meinem Fahrrad sah ich immer wieder auf die Note und mit jeder Sekunde, in der ich die Arbeit länger in Händen hielt, stieg die riesige Freude in mir, dass ich das ganz alleine geschafft hatte.
Es war ein Seminar in dem ich niemanden kannte. Mein erstes Proseminar in Geschichte. Mein zweites Semester.
Toll.
Und es ist die erste Arbeit seit langer langer Zeit, über deren Ergebnis ich mich richtig freue.
Nicht mal die Englisch-Noten in der Kollegstufe, die ja nun nicht die schlechtesten waren, haben so eine Freude bei mir ausgelöst.
Wie sagt ein geliebter Mensch immer so schön:
Ich könnte quietschen vor Glück!

Montag, 21. April 2008

Könige der Halbsätze

Was macht man eigentlich, wenn man Philosophie studiert? Worüber redet man in einer Vorlesung? Liest man ständig Bücher und erfindet jeden Tag die Welt neu oder versucht zumindest, sie und ihre Bewohner, deren Denken und Handeln zu erklären?
Die Antworten auf diese Fragen, sollen sich mir in diesem (meinem nun dritten Semester) eröffnen. Ich besuche nämlich im Rahmen meines Geschichtsstudiums auch zwei Seminare in jeweils einer Nachbarwissenschaft. Für den Sommer habe ich mir die Philosophie des Mittelalters, so der Titel der Vorlesung, ausgesucht.
Heute war die erste Sitzung.
Was mich an dem Dozenten so fasziniert hat war nicht das, was er sagte, sondern wie er es sagte. Er hatte etwas seltsam Religiöses in seiner Stimme. Wie ein Prediger einer neuen Heilsbotschaft stand er an seinem Pult. Die eine Hand links auf den Rand des Katheders gestützt, die andere rechts. Dabei drückte er die Arme durch und ging zwei Schritte nach hinten. Er sah aus, als wolle er entweder das Pult mit aller Kraft verschieben oder gleich mit seiner täglichen Fitnessübung beginnen.
Mit einer tiefen, lauten und gleichzeitig warmen Stimme ergeht er sich in nie enden wollenden Halbsätzen, die es jedem Zuhörer unmöglich machen, einen auch nur blassroten Faden im Gehörten zu finden, geschweige denn diesen auch nur in Ansätzen mitzuschreiben.
Das ist es wahrscheinlich, was die Philosophie so weltfremd erscheinen lässt: Die Gedanken des Verfassers bzw. Sprechers sind so konfus, dass es einem Normalsterblichen schon nach kurzer Zeit wie Schuppen aus den Haaren fällt, dass er für diese Art der Argumentation nicht gemacht ist. Selbst ein Mensch, der wie ich, mit einem fotographischen Gedächtnis ausgestattet ist, ist in einem solchen Fall aufgeschmissen. Denn das Schriftbild, das vor dem inneren Auge entsteht, ist von Pünktchen, Bindestrichen und Klammern überflutet und nirgends ist ein Rettungsring in Sicht, an dem man sich zur Not festhalten könnte.
Die Grundgedanken, die dieser Mann uns heute mitteilen wollte, waren im Grunde ja nicht schlecht: Die Welt ist grundsätzlich erst mal ne gute Einrichtung; die Schöpfung an sich ist quasi ganz in Ordnung.
Um das auszudrücken, reichen aber wie gerade bewiesen zwei knappe Sätze. Da muss man nicht 90 Minuten mit drei Schachtelsätzen füllen, von denen zwei Drittel nicht komplett waren.
Nein, Philosphie wäre wirklich nicht mein Fach.
Sich mit dem Gedanken zu beschäftigen, was der Sinn des Lebens (abgesehen von der Fortpflanzung, also dem Arterhaltungstrieb) ist, warum es immer dann regnet, wenn man gerade mal keinen Regenschirm dabei, und falls doch, keine Hand frei hat, um ihn aufzuspannen, und warum manche Menschen mit einer nahezu paradiesischen Dummheit gesegnet sind, das macht mir durchaus Spaß. Dafür kann ich mich begeistern und es fällt mir nicht unbedingt schwer, auf diese Fragen Antworten zu finden, aber das auch noch beruflich zu machen und am Ende so zu sprechen, wie der beschriebene Zeitgenosse - das ist es nicht wert.

Da ich gerade bemerke, dass ich mich langsam den Sätzen Thomas Bernhards nähere, was die Länge und Kompliziertheit angeht, schließe ich für heute und hoffe, dass ich morgen mein Döschen mit den Punkten wieder finde.
Bis denn dann
Stina ;-)