Da ich mich mittlerweile schon fast zum Inventar der Bibliothek zählen kann und täglich damit rechne, in einer weihevollen Zeremonie eine Nummer verliehen zu bekommen und in den Opac aufgenommen zu werden, dachte ich, es sei mal an der Zeit, einige meiner Mitinsassen vorzustellen.
Denn der häufige Besuch und damit verbunden stundenlange Aufenthalt in diesen Räumen führt unweigerlich dazu, andere Stammgäste zu bemerken und sich Gedanken darüber zu machen, welche Gründe sie wohl dazu treiben, sie hier aufzuhalten.
Bei meinen Beschreibungen gehe ich so vor, wie man im Gebäude der Bibliothek der Reihe nach auf entsprechende Personen trifft.
Der erste Dauerbesucher sitzt täglich – zumindest an Werktagen – um zwei Minuten nach acht Uhr morgens an seinem Polatz. Diese befindet sich im ersten Stock im Informations- und Servicebereich. Man läuft auf dem Weg zum Eingang der Lesesäle zwischen Informationstheke und den noch geschlossenen Ausleiheschaltern hindurch an diversen Tischen vorbei, auf denen sich Computer befinden, die die Literatursuche im Opac ermöglichen oder im Zweifelsfall eine gute Möglichkeit bieten, seine Zeit in der Bib, die man sich voller Tatendrang in einem Anfall von Strebertum zum Lernen vorgenommen hat, anderweitig – und meist unterhaltsamer – zu gestalten.
Der Arbeitsplatz unseres ersten Besuchers also befindet sich fast am Ende des beschriebenen Bereiches an einem Tisch ohne Computer.
Hier hängt er seine Jacke über die Rückenlehne des Drehstuhls, auf dem er die meiste Zeit sitzt, breitet seinen Block, seine drei Stifte und die etwa fünf Bücher aus und beginnt zu schreiben. Oft liest er in alten Zeitungen oder benutzt sogar das Internet für seine Forschungsarbeit.
Gegen Mittag greift er zu seiner Wasserflasche und der Brotbüchse, die er vermutlich vor vielen Jahrzehnten einem Kindergartenkind aus den kleinen, wurstigen Fingern gewissen hat, und begibt sich in die zweite Etage. Dort stellt er sich an einen Stehtisch der Cafeteria und verzehrt seine zwei belegten Brote.
Den Rest des Tages verbringt er wieder an seinem angestammten Platz.
Wichtig zu wissen ist das äußere Erscheinungsbild. Der beschriebene Mann trägt Hosen, die ihm viel zu weit sind und die trotz des Gürtels, der ebenfalls zu lang ist, beim Aufstehen oder Laufen rutschen, da sie an dem knochigen Körper keinen Halt finden. Ebenfalls zu groß sind die monatlich wechselnden Strickpullover, mit deren Ärmeln er sich einen erbitterten Kampf liefert, wenn er sie immer wieder über die Ellenbogen zurückstreift.
Im Ganzen ist der Mann normal groß, aber sehr dünn und von biblischem Alter. Sein Gesicht versteckt sich hinter tiefen Falten und diversen Bartansätzen, die vielerlei graue Schattierungen aufweisen.
Was er dort forschend erarbeitet, lässt sich nur vermuten. Der von mir und meinem Begleiter liebevoll „Der Untote“ genannte stellt sich wahrscheinlich irgendwann als ehemals gefeierter, aber während der Herrschaft Stalins des Landes verwiesener russischer Atomphysiker heraus, der in jahrzehntelanger Arbeit letztlich die Weltformel und das Gewicht des Universums errechnet hat. Oder einen Plan zur Ergreifung der Weltherrschaft bis ins kleinste Detail ausformuliert und niedergeschrieben hat.
Soweit also der Untote, der eventuell auch gebürtig aus Transsilvanien stammen könnte.
Betritt man den Lesesaalbereich, ist es nahezu unvermeidlich, auf Graf Wunderlich zu treffen.
Der etwa 1,60 m große und sehr dünne Mann trägt grundsätzlich graue Anzüge – zumindest hoffe ich, dass es nicht immer derselbe ist. Darunter an kalten Tagen schon mal einen – passend zu Anzug – viel zu großen Wollpullover, sonst Hemd und Krawatte.
Beim Gehen hat er die Rechte in der Hosentasche, während die Linke auf Höhe der Brust in Denkerhaltung arretiert zu sein scheint.
Auf Höflichkeit legt der Graf besonderen Wert, weshalb er grundsätzlich ihm Folgenden die Tür aufhält und verwundert bis empört denjenigen nachsieht, die sich dafür nicht bedanken oder die ihm nicht in ähnlicher Weise begegnen.
Der Graf hat zwei Plätze, an denen er sich vornehmlich aufhält. Der eine befindet sich im oberen Bereich des ersten Lesesaals, gleich hinter dem Geländer der Treppenbrüstung an einem Tisch, auf dem ein Blatt, zwei Stifte, häufig ein Buch und in regelmäßigen, meist zweistündigen Abständen auch sein Kopf liegt.
Der Graf ist nämlich von der extremen gedanklichen Leistung, die er beim Philosophieren erbringt oft stark geschwächt, was dazu führt, dass er sich in einen meditativen Zustand begibt, um sich zu erholen. Kurz: er pennt.
Sollte diese Form der Erfrischung nicht genügen, begibt er sich unter Aufbringung letzter Kraft – so sieht sein Gang jedenfalls aus – in das im Erdgeschoss befindliche Café, um sich dort mit einem Käsebrötchen und einem gut gekühlten Mezzomix zu erholen. Dabei kann er davon ausgehen, dass die von ihm mit der Zeit darauf trainierte Servicekraft die Flasche für ihn öffnet, sowie die Tüte, in der sich das Brötchen befindet, mit einem gekonnten Schnitt für den Grafen so vorbereitet, dass er nur noch hineinzugreifen braucht, um an die ersehnte Stärkung zu gelangen.
An warmen Tagen lässt er sich zu besonderen sinnlich-weltlichen Genüssen hinreißen und erlaubt sich ein Nucki-Nuss, dessen Verpackung er in einem seiner vielen genialen Momente schon einmal zu einem philosophisch interpretierbaren Kunstwerk verarbeitet hat, das er dann in einer Klarsichthülle mit an seinen Arbeitsplatz nahm.
Graf Wunderlich ist also Philosoph, klein, dünn, höflich und nimmt seine Umwelt so genau wahr, dass er mich schon mit einem wissenden Nicken grüßt, wenn wir uns auf einem seiner Wege begegnen. Denn überraschend ist, dass man ihn selten dabei beobachten kann, wie er etwas aufschreibt.
Vermutlich ist er in der Lage, mit Hilfe seiner Gedanken den Stift dazu zu bewegen, die in jenem befindliche Farbe in Form von Buchstaben auf das eine Blatt zu bringen. Schließlich arbeitet er an einem Buch, was ich in einem glücklichen Moment im Café aus einem Gespräch zwischen ihm und seinem Lektor erfahren durfte. Man darf demnach gespannt sein.
Eine am Rande zu erwähnende Erklärung für sein Verhalten wäre vielleicht och, dass er lediglich einen Selbstversuch durchführt, in dem er beobachtet, wie sich der menschliche Körper und vor allem die geistige Leistungsfähigkeit verhält, wenn man sich lediglich von Käsebrötchen, Mezzomix und Nucki-Nuss ernährt.
Der dritte Charakter, den ich in meiner bisherigen Zeit als bemerkenswert erlebt habe, ist der Baron.
Er ist etwa 1,85m groß, hat ein recht verwildertes Gesicht und entsprechende weiße Haare, ist vermutlich um die 70 Jahre alt und hat die Angewohnheit, seine Hosenbeine in seine Socken zu stecken. Vermutlich ist dieses Verhalten ein Überbleibsel aus seiner Zeit als britischer Kommandeur in Afrika, als er diverse Truppen befehligte und die berühmten Wickelstrümpfe trug.
Zu seiner braunen Hose bevorzugt er sein graublaues Jackett, das er stets offen trägt, was seinen leicht nach vorne geschobenen Unterkiefer und Nacken gekonnt unterstreicht.
Da seine ehemaligen Gepäckstücke mit der Zeit den Geist aufgegeben haben, greift er nun zu Plastiktüten, deren Wetterfestigkeit er zu schätzen und deren Stabilität er zu lieben gelernt hat. Diese Tüten mit geheimnisvollem Inhalt trägt er immer dann bei sich, wenn er die Bibliothek verlässt, um beispielsweise in der Mensa zu speisen.
Im Gegensatz zu den anderen beiden Herren weiß ich von ihm, wo er wohnt.
Durch längere Überlegungen und Beobachtungen bin ich zu dem Schluss gelangt, dass ein Teil der im Erdgeschoss aufgebauten Schießfächer lediglich Attrappen sind. Die Fächer lassen sich nicht öffnen, weil sie keine einzelnen Fächer sind, sondern hinter ihnen ein einziger Raum ist, der dem Baron als Behausung dient.
Die beengten Verhältnisse sind für ihn kein Problem, er ist schließlich schon mit ganz anderen Umständen konfrontiert worden. Stichwort Afrika.
Die Beobachtung, dass er selten viel isst brachte mich dazu, die These aufzustellen, dass er sich angewöhnt hat, sich von gelesenen Büchern, besser, vom Lesen an sich zu ernähren.
Dass meine Beobachtungen und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen keineswegs der Wahrheit entsprechen müssen, ist mit bewusst. Und dennoch glaube ich fest daran, dass ein kleiner Kern in jedem Fall der Realität entspricht.
Gäbe es Schlingensief noch, würde ich jedoch vermuten, dass die drei Herren und ihr Verhalten lediglich eine Inszenierung der Dürrenmatt’schen Physiker sind.
Donnerstag, 30. September 2010
Freitag, 18. Juni 2010
Momentaufnahme
Es gibt Tage, an denen sollte man liegen bleiben und Tage, an denen man besser nicht aufgestanden wäre.
Ja, tatsächlich.
Augeblicklich scheinen sich diese beiden Varianten mehr oder weniger gut abzusprechen, denn sie wechseln sich recht regelmäßig und nahezu täglich ab.
Und bei beiden genügt eigentlich schon ein Blick aus dem Fenster, was sage ich, über den Rand des Bettes hinaus. Neben den üblichen Gegenständen fallen mir sofort die großen dicken Papierstapel auf dem Schreibtisch ins Auge. Sie liegen da und scheinen beinahe vorwürfig mit verschränkten Armen und mit dem rechten Fuß auf dem Boden tappend, in einem ruhigen und doch klaren und überdeutlichen Ton zu fordern: "Lerne! Bewege deinen nichtsnutzigen, faulen Studentenhintern aus dem Bett, setz dich auf den Hosenboden und pauke!".
Sie sagen das natürlich nicht. Es ist nur ein Haufen PApier der mit Buchstaben bedruckt und schweigend auf meinem Schreibtisch liegt. So fern bin ich der Realität dann doch noch nicht.
Allein der ANblick dieses Stoffes jedoch, den ich mir bis zum sechsten August einprägen muss, allein das Sehen der kopierten Seiten sorgt dafür, dass ich bereits nach zehn Sekunden, die ich einigermaßen wach an diesem Tag geknabbert habe, ein schlechtes Gewissen habe. Schließlich lag ich etwa neun Stunden einfach nur im Bett, ohne etwas zu tun. Das kann ja nichts werden. Wie soll man denn da zu einer guten Lehrkraft werden, wenn man nächtelang schläft?
Ich liege also da und fühle mich, als wäre ich ganz allein an jedem einzelnen verdammten Tropfen Öl schuld, der zur gleichen Zeit ins Meer blubbert. - Immer hin, das mit dem aktuellen Bezug klappt wenigstens schon mal.
Trotz des gesamten Gewichts eines achttausender Bergmassivs auf mir, wuchte ich mich aus dem Bett. Nein, es ist wohl eher eine Art zähes Fließen, was meine Weise der Forbewegung am besten beschreiben würde. Als wäre ich der Ihalt eines Glases Honig, das umgekippt wurde, woraufhin sich die klebrige Bienekotze (denn nichts anderes ist der süß Brotaufstrich nun mal) langsam seinen Weg bahnt.
Sehr viel mehr Schwung wird mein Körper den Rest des Tages nicht mehr erreichen, mal abgesehen von der Radfahrt zur Uni und zurück. Ansonsten läuft alles eher im Chamäleon-Tempo ab. Dass ich gelegentlich von älteren Damen mit Gehwägelchen überholt werde, frustet mich mittlerweile schon gar nicht mehr.
Sollte ich an diesem Tag doch noch zu einem Geheft aus dem gefürchteten Lernstapel greifen, dann vollgestopft bis zum Rand mit Angst, Unterwürfigkeit und im vollen Bewusstsein, dass ich mir sowieso nichts von dem merken kann, was mich nun erwartet.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, vielleicht auch Komik, dass es im Text ausgerechnet darum geht, wie man möglichst effizient lernt. Wie nicht anders zu erwarten finde ich mich vor allem in den Negativbeispielen wieder. Fehlende Fähigkeit zur Aufmerksamkeitssteuerung, andauernde 'worry'-Gedanken und eine Überdosis an Amotivation füllen mich bis zum letzten Kubikmillimeter aus.
Letztlich versinke ich erneut im Gedankengestrüpp der Frage, was aus mir eigentlich werden wird.
Mein Kopfkino schließt die Saaltür, dimmt dass Deckenlicht und der Vorhang gibt den Blick auf die Leinwand frei, auf der ich die Rollen sehe, die ich im Begriff bin, für mein sogenanntes Leben anzunehmen:
Arbeitslose Fettleibige, die vor dem Computer sitzt und Solitär spielt, während sie mit der freien Hand Chips zwischen ihre gelben Zähne stopft, nur um dann mit Billigcola nachzuspülen, Single versteht sich; ganz in Schwarz gekleidete Psychiatriedauerpatientin, die immer neue Wege findet, einen Selbstmord durchzuführen, der jedoch nie gelingt, weil sie letztlich zu feige ist und jedes Mal mit letzter Kraft den Schwesternknopf drückt, um kurz vor dem Exitus gefunden und 'gerettet' zu werden.
Das letzte Bild, das zu sehen ist, während der Vorhang schon langsam das Blickfeld von rechts und links zu verengen beginnt, ist jenes, welches mich in den nächsten Stunden nicht loslässt. Eine tote Frau.
Ich.
Und es ist nicht so sehr das Bild an sich, das mich stark beschäftigt, sondern es sind die Gefühle, die es in mir auslöst.
Erleichterung und eine gewisse Entspanntheit, eine wohlige Zufriedenheit, die mich meine eigene Stimme hören lässt und die sagt "Es ist okay.". Die Gewissheit damit der Menschheit oder zumindest denen, die tatsächlich oder potenziell mit mir zu tun haben, eine große Last zu nehmen. Einerseits.
Andererseits zwei Ängste.
Die Angst, dass ich mich immer Hassen werde, dass ich nie ein Leben ohne diese scheiß Depression haben werde.
Und die Angst, dass sie irgendwann gewinnt.
Ja, tatsächlich.
Augeblicklich scheinen sich diese beiden Varianten mehr oder weniger gut abzusprechen, denn sie wechseln sich recht regelmäßig und nahezu täglich ab.
Und bei beiden genügt eigentlich schon ein Blick aus dem Fenster, was sage ich, über den Rand des Bettes hinaus. Neben den üblichen Gegenständen fallen mir sofort die großen dicken Papierstapel auf dem Schreibtisch ins Auge. Sie liegen da und scheinen beinahe vorwürfig mit verschränkten Armen und mit dem rechten Fuß auf dem Boden tappend, in einem ruhigen und doch klaren und überdeutlichen Ton zu fordern: "Lerne! Bewege deinen nichtsnutzigen, faulen Studentenhintern aus dem Bett, setz dich auf den Hosenboden und pauke!".
Sie sagen das natürlich nicht. Es ist nur ein Haufen PApier der mit Buchstaben bedruckt und schweigend auf meinem Schreibtisch liegt. So fern bin ich der Realität dann doch noch nicht.
Allein der ANblick dieses Stoffes jedoch, den ich mir bis zum sechsten August einprägen muss, allein das Sehen der kopierten Seiten sorgt dafür, dass ich bereits nach zehn Sekunden, die ich einigermaßen wach an diesem Tag geknabbert habe, ein schlechtes Gewissen habe. Schließlich lag ich etwa neun Stunden einfach nur im Bett, ohne etwas zu tun. Das kann ja nichts werden. Wie soll man denn da zu einer guten Lehrkraft werden, wenn man nächtelang schläft?
Ich liege also da und fühle mich, als wäre ich ganz allein an jedem einzelnen verdammten Tropfen Öl schuld, der zur gleichen Zeit ins Meer blubbert. - Immer hin, das mit dem aktuellen Bezug klappt wenigstens schon mal.
Trotz des gesamten Gewichts eines achttausender Bergmassivs auf mir, wuchte ich mich aus dem Bett. Nein, es ist wohl eher eine Art zähes Fließen, was meine Weise der Forbewegung am besten beschreiben würde. Als wäre ich der Ihalt eines Glases Honig, das umgekippt wurde, woraufhin sich die klebrige Bienekotze (denn nichts anderes ist der süß Brotaufstrich nun mal) langsam seinen Weg bahnt.
Sehr viel mehr Schwung wird mein Körper den Rest des Tages nicht mehr erreichen, mal abgesehen von der Radfahrt zur Uni und zurück. Ansonsten läuft alles eher im Chamäleon-Tempo ab. Dass ich gelegentlich von älteren Damen mit Gehwägelchen überholt werde, frustet mich mittlerweile schon gar nicht mehr.
Sollte ich an diesem Tag doch noch zu einem Geheft aus dem gefürchteten Lernstapel greifen, dann vollgestopft bis zum Rand mit Angst, Unterwürfigkeit und im vollen Bewusstsein, dass ich mir sowieso nichts von dem merken kann, was mich nun erwartet.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, vielleicht auch Komik, dass es im Text ausgerechnet darum geht, wie man möglichst effizient lernt. Wie nicht anders zu erwarten finde ich mich vor allem in den Negativbeispielen wieder. Fehlende Fähigkeit zur Aufmerksamkeitssteuerung, andauernde 'worry'-Gedanken und eine Überdosis an Amotivation füllen mich bis zum letzten Kubikmillimeter aus.
Letztlich versinke ich erneut im Gedankengestrüpp der Frage, was aus mir eigentlich werden wird.
Mein Kopfkino schließt die Saaltür, dimmt dass Deckenlicht und der Vorhang gibt den Blick auf die Leinwand frei, auf der ich die Rollen sehe, die ich im Begriff bin, für mein sogenanntes Leben anzunehmen:
Arbeitslose Fettleibige, die vor dem Computer sitzt und Solitär spielt, während sie mit der freien Hand Chips zwischen ihre gelben Zähne stopft, nur um dann mit Billigcola nachzuspülen, Single versteht sich; ganz in Schwarz gekleidete Psychiatriedauerpatientin, die immer neue Wege findet, einen Selbstmord durchzuführen, der jedoch nie gelingt, weil sie letztlich zu feige ist und jedes Mal mit letzter Kraft den Schwesternknopf drückt, um kurz vor dem Exitus gefunden und 'gerettet' zu werden.
Das letzte Bild, das zu sehen ist, während der Vorhang schon langsam das Blickfeld von rechts und links zu verengen beginnt, ist jenes, welches mich in den nächsten Stunden nicht loslässt. Eine tote Frau.
Ich.
Und es ist nicht so sehr das Bild an sich, das mich stark beschäftigt, sondern es sind die Gefühle, die es in mir auslöst.
Erleichterung und eine gewisse Entspanntheit, eine wohlige Zufriedenheit, die mich meine eigene Stimme hören lässt und die sagt "Es ist okay.". Die Gewissheit damit der Menschheit oder zumindest denen, die tatsächlich oder potenziell mit mir zu tun haben, eine große Last zu nehmen. Einerseits.
Andererseits zwei Ängste.
Die Angst, dass ich mich immer Hassen werde, dass ich nie ein Leben ohne diese scheiß Depression haben werde.
Und die Angst, dass sie irgendwann gewinnt.
Sonntag, 7. Februar 2010
Ich bin ein Fahrrad.
Ich stehe am Fahrradständer und öffne das Schloss an meinem Rad. Dabei fällt mein Blick auf das Nachbarrad. "all terrain" steht auf dem Rahmen. Wahrscheinlich kann man mit dem Ding, das da so trostlos im Nieselregen steht wirklich überall fahren. Bergtouren, Schotterpisten, Schlammwiesen oder Wüstensand sind dem Teil vielleicht tatsächlich völlig egal, wenn nur der richtige Fahrer drauf sitzt.
Da kann es einem doch fast ein wenig leid tun, dass es sein Leben als stink normales Straßenfahrrad fristet und nie das Knirschen von Alpengeröll unter seinem Profil spürt, sondern nur das Knistern von Rollsplitt im Winter. Es ist für Größeres geschaffen, für Reisen durch die Sahara, über die Anden oder gar nach Nepal. Stattdessen steht es hier in Erlangen und wartet darauf, die Kaufland-Einkäufe nachhause fahren zu dürfen.
Dann seh ich mein Rad an, ein typisches "City-Bike": tiefer Einstieg, bequemer Sattel, beinahe zu einem Halbrund gebogener Lenker - das Weichei unter den Fahrrädern. Abenteuer sieht anders aus. Es ist banal. Völlig banal. Keiner würde darauf kommen, damit eine Radtour fernab befestigter Straßen zu machen.
Und doch fahre ich immer wieder mal durch den Wald, über Kieswege, fahre Randsteine hoch und runter, springe mit dem Vorderrad, lege Vollbremsungen hin und erhebe mich vom Sattel, nur um das Gefühl zu haben, sportlicher zu sein.
Mein Fahrrad ist nicht dafür gemacht.
Als ich diese beiden Drahtesel so nebeneinander stehen sah, kam mir nur ein Gedanke:
Entweder bin ich - mit all meinen Gaben, Talenten und sonstigen Eigenschaften - ein City-Bike, das nicht einsehen will, dass es kein Mountainbike ist, aber trotzdem ständig so tut.
Oder ich bin ein Mountainbike, das langsam verkümmert und an einigen Stellen schon Rost ansetzt, weil es nicht seiner eigentlichen Bestimmung (falls es sowas gibt) gemäß genutzt wird.
Die Fahrt in unsere Ein Zimmer - Küche - Bad - Abstellkammer - Wohnung nutzte ich, um über mich als Fahrrad nachzudenken.
Und irgendwie verblasste das Mountainbike immer mehr, je näher ich der Haustür kam.
Da kann es einem doch fast ein wenig leid tun, dass es sein Leben als stink normales Straßenfahrrad fristet und nie das Knirschen von Alpengeröll unter seinem Profil spürt, sondern nur das Knistern von Rollsplitt im Winter. Es ist für Größeres geschaffen, für Reisen durch die Sahara, über die Anden oder gar nach Nepal. Stattdessen steht es hier in Erlangen und wartet darauf, die Kaufland-Einkäufe nachhause fahren zu dürfen.
Dann seh ich mein Rad an, ein typisches "City-Bike": tiefer Einstieg, bequemer Sattel, beinahe zu einem Halbrund gebogener Lenker - das Weichei unter den Fahrrädern. Abenteuer sieht anders aus. Es ist banal. Völlig banal. Keiner würde darauf kommen, damit eine Radtour fernab befestigter Straßen zu machen.
Und doch fahre ich immer wieder mal durch den Wald, über Kieswege, fahre Randsteine hoch und runter, springe mit dem Vorderrad, lege Vollbremsungen hin und erhebe mich vom Sattel, nur um das Gefühl zu haben, sportlicher zu sein.
Mein Fahrrad ist nicht dafür gemacht.
Als ich diese beiden Drahtesel so nebeneinander stehen sah, kam mir nur ein Gedanke:
Entweder bin ich - mit all meinen Gaben, Talenten und sonstigen Eigenschaften - ein City-Bike, das nicht einsehen will, dass es kein Mountainbike ist, aber trotzdem ständig so tut.
Oder ich bin ein Mountainbike, das langsam verkümmert und an einigen Stellen schon Rost ansetzt, weil es nicht seiner eigentlichen Bestimmung (falls es sowas gibt) gemäß genutzt wird.
Die Fahrt in unsere Ein Zimmer - Küche - Bad - Abstellkammer - Wohnung nutzte ich, um über mich als Fahrrad nachzudenken.
Und irgendwie verblasste das Mountainbike immer mehr, je näher ich der Haustür kam.
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